Bei'm WeineNovellette von Paul Bliß Das Diner war beendet, als Hr. Berent mich bei'm Arm nahm und sprach: „Kommen Sie, mein junger Freund, ich weiß hier im Hause ein hübsches, stilles Plätzchen, wo wir ungestört ein wenig plaudern können.” Lächelnd legte ich meinen Arm in den des alten Herrn; er führte mich in einen lauschig kleinen Raum, dessen Balkon auf den stillen Park hinaus ging. Es war in der That ein reizender Winkel und ganz geschaffen zum Träumen. Drinnen im Musikzimmer wurde jetzt Schubert's „Lindenbaum” gesungen. Ganz deutlich hörten wir jeden dieser einzig schönen, schlichten Töne, und athemlos lauschten wir Beide, auf's Tiefste ergriffen. Als der Vortrag zu Ende war, wiederholte der alte Herr flüsternd des Liedes letzte Zeile: „Und immer hör' ich's rauschen: Du fändest Ruhe dort!” Ich blickte ihn an, und wieder, wie schon manchmal vorher, fiel mir auf, welch' auffallend stattlicher, schöner Mann trotz seines Alters er noch immer war, und wohlhabend war er auch stets gewesen — unwillkürlich drängte sich die Frage auf meine Lippen: „Wie kommt es eigentlich, daß Sie ledig geblieben sind?” Er lächelte. „Aus guten Gründen,” versetzte er. „In meiner Jugend hatte ich keine Zeit — ich mußte schwer arbeiten, um heraufzukommen. Und als ich es dann zu Stellung und Vermögen gebracht hatte, da war es eben zu spät. Wenn Sie wollen, will ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen.” Und dann begann er: „Die jungen Mädchen hatten mich als Heiraths-Candidaten eigentlich nie angesehen. Ich hatte immer etwas Stilles und Verschlossenes in meinem Wesen, und wenn ich auch 'mal eine Bekanntschaft machte, dann wurde immer nur Freundschaft daraus. Aber da kam eines Tages noch ein Mal der Sonnenstrahl des Glücks auf mein alterndes Haupt. Ich war bereits sechsundvierzig Jahre, als ich mich noch einmal mit Jünglingsblut verliebte.” Der alte Herr machte eine Pause und sah einen Augenblick hinaus in die Frühlingslandschaft, die jetzt in tiefe Dämmerung gehüllt war. „Es war einer von diesen Frühlings-Regentagen, als ich das junge Mädchen zum ersten Mal sah. Es war, als ob mir plötzlich eine neue Sonne aufgegangen wäre, ich sah alles ringsumher in einem strahlenden Lichte, ich war wie geblendet von dieser Fülle jugendlicher Schönheit. Der Vater dieses Kindes war ein Geschäftsfreund von mir, und als er bemerkte, daß ich mich für seine Tochter interessirte, nahm er jede nur mögliche Gelegenheit wahr, uns zusammen zu bringen. Nun, es gelang ihm dies bald. Nach wenigen Wochen hatte ich mich dermaßen in das schöne Kind verliebt, daß es kein Zurück mehr für mich gab; alle Liebe und Leidenschaft, die so lange in meiner Brust geschlummert hatten, erwachten nun, wie durch einen Zauberschlag erweckt, und belebten mich mit neuer Jugendkraft. Ich hieltm um die Hand des jungen Mädchens an. Die Eltern sagten mir ein erfreutes Ja, denn ich war eine gute Partie, und die Kleine selbst sagte erröthend auch Ja. Sie zitterte dabei und war auch verlegen, aber ich glaubte, daß dies jungfräuliche Scham sei. So verlobten wir uns. Ich schwelgte in Wonneschauern und wollte die Hochzeit beschleunigt haben, was indessen nicht anging, da erst die Aussteuer fertig gestellot werden mu0te. Qualvolle Wochen vergingen für mich. Jeden Tag sah ich meine Braut, und mit jedem Tage wurde ich verliebter. Schließlich lief ich umher wie ein Blinder, der nur noch Augen für sie hatte. Ich überhäufte sie mit Aufmerksamkeiten und Geschenken, die sie alle mit der gleichen leise zurückhaltenden Liebenswürdigkeit aufnahm. Da, eines Tages, passirte mir etwas Sonderbares. Ich war mit einigen Freunden zusammen, die mir und meiner Braut zu Ehren ein kleines Fest gaben. Ich war heiterer denn je, fast ausgelassen vor Freude und Glück, und so trank ich denn mehr, wie ich vertragen konnte, bis ich einen regelrechten Rausch hatte. Erst, als es zu spät war, merkte ich es. Nun bemühte ich mich, meine Ausgelassenheit zu zügeln, aber es gelang mir nicht. Plötzlich sah ich das entsetzte Auge meiner Braut auf mir ruhen. Sie hatte meinen Zustand erkannt. Und nun gewahrte ich, wie sie einem jungen Ingenieur lächelnd zunickte, um ihn auf meinen Zustand aufmerksam zu machen, und in diesem halben Blick von ihr las ich etwas, wie eine Mischung von Spott und Mitleid. Das traf mich wie ein Schlag. — Plötzlich war ich sehend geworden. So lange war ich mit blind verliebten Augen herum gelaufen, nun im Rausche lernte ich mit einem Male nüchtern zu sehen. Am nächsten Tage hatte ich mit meiner Braut eine lange ernste Unterredung. ich sprach zu ihr, nicht wie ein Bräutigam, der sich verrathen glaubt, sondern wie ein guter alter Freund, denn ich wußte jetzt, daß das Kind mich nie geliebt hatte. Die Kluft des Altersunterschiedes stand zwischen uns. Unter Schluchzen gestand sie mir denn auch, daß sie den jungen Ingenieur schon immer geliebt habe, daß aber ihre Eltern dagegen wären, weil er arm und noch keine genügende Position habe, um einen Hausstand zu begründen. Noch an demselben Tage löste ich unsere Verlobung auf und fuhr nach dem Süden. Als ich dann ein Jahr später zurück kam, waren die jungen Liebesleute vereint. Er hatte eine Anstellung in meinen Eisenwerken bekommen. Sehe Sie, so blieb ich ledig.” Der alte Herr schwieg und sah mit wehmütigem Lächeln wie träumend hinaus in die Frühlingsnacht. — — — |